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Das Leid der Frauen

«In meiner Praxis begegne ich oft einem Krankheitsbild, bei dem entweder körperliche oder psychische Symptome überwiegen. In vielen Fällen erkenne ich einen zeitlichen Zusammenhang zwischen Beginn der Symptomentwicklung und einer Abtreibung. Vielmals zeigt sich nach mehrfachen Abtreibungen eine Zunahme der Symptomstärke oder auch der Symptomvielfalt. Verschiedene Fachärzte fanden häufig keine organische Ursache.»

Bild, das eine von PAS betroffene Frau zu Beginn ihrer ärztlichen Behandlung gemalt hat.
Bild, das eine von PAS betroffene Frau zu Beginn ihrer ärztlichen Behandlung gemalt hat.

Die Frauen, die mich aufsuchen, leiden zum Teil schon sehr lange an diesen unklaren Krankheitsbildern und haben mitunter schon operative Eingriffe hinter sich. Viele Patientinnen entwickeln die Symptome nicht sofort, sondern nach längerer Zeit. In zahlreichen Fällen stimmen die Symptome dieser Folgeerkrankung nach Abtreibung (engl. Post-Abortion Syndrome, kurz PAS) mit dem Befund überein, wie er für die posttraumatische Belastungsstörung (engl. Post-Traumatic Stress Disorder, PTSD) festgelegt ist. Der Zusammenhang mit dem Trauma (der Abtreibung) wird in der Medizin allerdings oft noch verdrängt.

PAS und PTSD gehen mit spontanen Erinnerungen an das Trauma einher. Diese werden oft durch Reize ausgelöst und führen zu körperlichen und psychischen Stressreaktionen. Es besteht eine Neigung, die Erinnerung zu vermeiden. Verdrängung einhergehend mit Isolationsneigung, steigender Suchtentwicklung und erhöhter Depressions- und Suizidgefahr sind ebenso typisch wie eine erhöhte innere Anspannung mit Abnahme der Konzentration, steigende Aggression und Angstattacken.

Studien aus den USA geben die Häufigkeit von PTSD in der Bevölkerung mit 12 bis 14 % an. Für die Schweiz wären das rund eine Million Personen. Unter diesen Personen sind in der Regel 2/3 Frauen und 1/3 Männer. Hier spielt die Traumatisierung durch Abtreibungen sowie durch unglückliche Verläufe von Schwangerschaft und Geburt eine Rolle für die höhere Betroffenheit bei Frauen. In der Schwangerenkonfliktberatung sollte über das Risiko, nach einer Abtreibung an PAS zu erkranken, umfassend informiert werden. Sollten sich nach der Abtreibung die typischen Symptome entwickeln, bedürfen die Frauen einer qualifizierten Behandlung.

Das hier abgedruckte Bild, das eine PAS-Betroffene zu Beginn unserer therapeutischen Arbeit malte, zeigt, wie sie tief verletzt an einem blutenden Herzen, einem blutenden Schoss und einer Wunde des Kopfes leidet. Ihre ganze Persönlichkeit ist von der Trauer und der Schuld, die sie über den Tod ihres Kindes empfindet, belastet. Sie hat keine Hände, was ihre Hilflosigkeit und depressive Antriebsstörung verdeutlicht. Ihr fehlt auch der Mund, sie ist sprachlos ihrem inneren Erleben in der ständigen Wiederholung der Gedanken an die Abtreibung ausgeliefert. Von der Psychotherapie erhofft sie sich ein hilfreiches Gegenüber und die Erfahrung, dass ihre seit Jahren verdrängten Symptome und Gefühle Ausdruck finden dürfen.

Dr. med. Angelika Pokropp-Hippen (†)