Am 18. April 2015, um 17:45 Uhr, läutete im Spital Einsiedeln abermals der Alarm des Babyfensters. Es war das elfte Mal seit der Eröffnung dieses Babyfensters im Jahr 2001. Die herbeigeeilte Hebamme nahm ein Mädchen in Empfang. Es wog 3370 g, war 48 cm gross und wohlauf. Damit sind in der Schweiz im Zeitraum von 14 Jahren insgesamt bereits 15 Babys bei Babyfenstern abgegeben worden. Leider ist Ende Mai auch ein Baby, tot im Rhein schwimmend, aufgefunden worden. Die Polizei geht von einem Tötungsdelikt aus und hat eine 20-köpfige Sonderkommission bestellt, die nach der Mutter sucht.
Beim toten Mädchen, das am 27. Mai auf der deutschen Seite des Rheins vis-à-vis von Leibstadt (AG) aus dem Wasser gezogen wurde, geht die Polizei davon aus, dass es lebend auf die Welt gekommen und kurz nach der Geburt getötet worden ist. Ob die Mutter je gefunden wird, ist unklar. Gut einen Monat zuvor ist in Einsiedeln ein Baby ins Babyfenster gelegt worden – ebenfalls ein Mädchen. Beide Mütter müssen sich in einer dramatischen Lage befunden haben. Niemand sollte von ihrem Kind erfahren. Beide verheimlichen darum Schwangerschaft und Geburt. Doch wie unterschiedlich ist die Reaktion: Die eine Mutter tötet ihr Kind, weil sie keinen Ausweg weiss, die andere kennt den Ausweg: das Babyfenster. Die erste Mutter macht sich strafbar und wird gesucht. Sie belastet sich das ganze Leben mit der Tötung ihres Kindes, das sicher gerne gelebt hätte. Die andere Mutter hat sich nicht strafbar gemacht, sondern in höchster Not einen mutigen Akt der Liebe zugunsten ihres Kindes vollbracht. Inzwischen ist sie zum Kind zurückgekehrt und hat es wieder in ihre Arme genommen. Im Folgenden das Geschehene in Kürze.
Die Mutter hat das Kind heimlich geboren; denn für sie stand fest: Niemand durfte etwas von ihrem Baby wissen. Doch das hiess Trennung von ihrer Tochter. Und das belastete sie ebenfalls schwer. Als sie zwei Tage nach der Geburt weder ein noch aus wusste, wickelte sie das Baby in ein Tuch, setzte sich in den Zug und reiste nach Zürich. Dort stieg sie in die S-Bahn nach Einsiedeln. So stand sie am Abend des 18. April mit ihrem Baby vor dem Babyfenster. Sie legte ihr Kind hinein und eilte davon. Niemand nahm davon Kenntnis.
Doch die junge Frau blieb hin- und hergerissen. Und so gab es im Spital Einsiedeln am Tag darauf eine grosse Überraschung: Die Mutter des Babys meldete sich. Sie fragte an, ob sie vorbei kommen dürfe. Sie wollte ihr Baby wieder in die Arme nehmen. Die Antwort des Spitals lautete Ja, allerdings nur unter Aufsicht. Damit war sie einverstanden. So besuchte sie ihr Baby einige Male. Ein DNA-Test zeigte schliesslich, dass sie wirklich die Mutter ist. Die Stiftung hat nicht nur die Übernahme der Kosten des DNA-Tests zugesagt, sondern auch weitere Pflegekosten des Babys. Ebenso ist sie bereit, die Frau im erforderlichen Rahmen zu unterstützen, damit das Baby möglichst zu seiner Mutter zurückkehren kann.